Die entfesselte Kamera - Tanz der Eier um ein Siebrund von DASTRA
Paul Wolff [1887-1951] verdanken wir die Entfesselung der Kamera, indem er selbige vom Stativ befreit hat. Die Leica von Oskar Barnack machte kurz zuvor Bilder vom wirklichen Leben möglich. Das barg auch politische Sprengkraft. Zumal Ende der goldenen Zwanziger, die gar nicht so gülden waren mit weltweit dräuender Wirtschaftkrise und dem nahen Ende der Weimarer Republik. Die Welt war im Aufbruch. Bewegt war sie - und sie geriet aus den Fugen. Alle Statik war perdu. Die Technik wälzte den Alltag so vieler Menschen radikal um: Automobil, Aeroplan, Bomben, Raketen, Rundfunk, Telefon, Telegramm und Zeppelin - Masse wie Mensch schwelgten im unerhörten Temporausch, der sich in rasender Dynamik der Epoche Bahn brach und entlud. Mitten drin dabei damals Dr. Paul Wolff, der als Mediziner habilitiert wird und als Reporter landet.
Oskar Barnack sei Dank, dem genialen Erfinder der ersten Kleinbildkamera, der sogenannten Urleica, konnte dieser Paul Wolff so ab 1926 mit leichtem Gepäck reisen, darin seine in einem Wettbewerb gewonnene Leica, und fortan auch ganz unbeschwert seinen Blick auf die Welt im Umbruch schärfen, ja sogar werfen - ebenso schnell wie spontan. Das Geschenk der Ernst Leitz GmbH an den Pionier war sein Eintritt in die Welt. Der Messsucher dieser Leica war dank Parallaxe präzis und schnell. Ohne lange umständlich seine Schärfe finden zu müssen, konnte unser Reporter sein Objekt der Begierde im Bruchteil einer Sekunde erst ins Auge fassen, dann im Nu ins Bild setzen. Die Kamera war entfesselt. Dieser Stil war prägend für die ganze Moderne. Der Einfluss von Paul Wolff seitdem auf die moderne Kleinbild-Fotografie ist groß. Das Sonderbare galt als das Wunderbare im Werk bei Paul Wolff. Das Wunder sucht das Profane, damit es sich zeigen kann. Seine Haltung bewahrt er sich zeitlebens: ein Staunen. Und dies Staunen blieb immer sein 'Tor' zur Welt. Naiv? Wohl kaum.
Aber Paul Wolff konnte auch genau das Gegenteil mit der kleinen Leica und der 50 mm Brennweite tun. Er konnte das Entfesselte, das Leben wie das Licht, zum Bild verdichten, mithin im poetischen Stillleben fassen, das so an Stringenz in der Komposition und an Kontemplation bis heute kaum mehr je erreicht wird: Zwei Eier etwa, das Leben selbst also, und ein Sieb, beide im Schein der Sonne. Die Dinge wirken nicht nur real. Eher surreal, nicht banal, fast teuflich ermächtigt. Sie zeichnen sich vor der Maserung eines Küchentischs ab. Eine Welt der Formen tut sich da auf. Zwei Ovale tanzen um ein Siebrund von DASTRA im Anschnitt. Der Teil steht für das Ganze. Damit hat der Großmeister der Entfesselung das Entfesselte im Augenblick gerinnen lassen. Zwei Eier und ein Sieb, wir schreiben das Jahr 1933, leuchten wie von Innen aus sich heraus. Hyperreal erstarren diese zur Ikone einer Epoche, die auf einem engen Küchentisch Platz hat. Das Weltgefüge weicht kurz der Welt im Kleinen: im Eiertanz um ein Rührsieb.
Wo viel Licht ist, fallen die Schatten tief. Davon erzählt diese Fotografie, die eine Neuerwerbung aus dem Schicksaljahr 1933 ist. Dabei handelt es sich definitiv um ein Schlüsselwerk des Fotografen, das hellsichtig, fast dämonisch luziferisch, ist. Einige Originale Paul Wolffs, dem Frankfurt stets seine Wahlheimat war, sind nun - ein Säkulum später - in Hessen zurück.
Copyright Bild: Paul Wolff | Copyright Text: Klaus Kleinschmidt | Courtesy: Kleinschmidt Fine Photographs and the artist