Tor, Tor, Tor: das Debüt von Rui Manuel De Assis Camilo als Fado-Buch der Unruhe

Ein Strauch grünt so grün auf dem Platz. Ein Rüde im Abseits hebt sein linkes Bein. Und macht sein Geschäft. Dies ist so nicht weiter ungewöhnlich. Doch wohl der Platz, auf dem dies geschieht. Ein Dorfplatz auf Bali um das Jahr 2003. Irgendwo im Nirgendwo der Insel. Da! Die Aufmerksamkeit von Rui Camilo ist erregt. Pipi - auf dem Spielfeld? Der Fußballer in ihm regt sich, was der Fotograf bloß nur registriert: Ein Regelverstoß. Jeder Spieler hätte hierfür vom Schiedsrichter sofort die Rote Karte kassiert. Ein Rüde aber? Wohl kaum.

Er folgt dem Hund mit seinem Blick. Dieser schweift zuerst ab zum Horizont: Unter dem Himmel hohe Palmen. Ihr Farbspiel reicht von grünoliv bis lindgrün - wie das dichte Gebüsch ringsum. Und auf halber Höhe: Tristesse: eine schäbige Baracke, die Hauswand schier endlos gestreckt, schmutzweiß, das Dach teils rostrot gedeckt in Wellblech. Davor Fahrräder wie zu einer langen Kette gereiht. Und dann sieht er im Hintergrund des Spielfelds: ein Fußballtor - in seiner Leere schier riesig, aber eben ganz unauffällig. Ziellos streunend hat der Hund ihn, der die Suche nach einem Thema längst aufgab, zur Idee geführt: Tore! Ein Wink von oben. "Gott ist die Seele der Tiere." Fern von allem Fanrummel und Superstars - auf dem Bolzplatz kam ihm die Eingebung.

"Und jedem Anfang", lesen wir im Jahr 1941 bei Hermann Hesse getragen, "wohnt ein Zauber inne." Für den Iren Samuel Beckett läuft das Gegenprogramm eher so ab: "Das Ende ist im Anfang." 1952 war das nichts für zarte Gemüter. Eher harte Prosa aus der Feder des Nihilisten 1948-1949. 1961 zielte Theodor Wiesengrund Adorno mit Dialektik auf den Punkt: "Schon im Anfang das Ende." Dieses wie jenes Bonmot sind wahr. Sie alle drei sagen uns, wie ein Konzept geht. Und ein Tor ist, einerlei ob im Fußball oder als ein Tor zur Burg, Brücke, Mauer, Mühle, Scheune, Stadt oder zum Garten, Schloss, Turm führt, ein Ort im Übergang, im Transit also, von außen nach innen oder von innen nach außen. Nur das Tor in den Garten Eden oder das in die Hölle führen in ein Jenseits. Das Paradies liegt hoch im Himmel, während die Hölle in einen Berg hinein spiralförmig tief unter die Erde führt. Der Topos kommt da mitunter eher beiläufig divers daher.

Rui Camilo hat derweil allerlei Tore auf den Bolzplätzen der Welt belichtet. Und er hat sie oft durchmessen. Der Autor fragt ihn: Warum? Rui Camilo, dessen vollständiger Name Rui Manuel de Assis Camilo wie Musik in den Ohren klingt, führt hierzu aus: "Ich habe etwas gesucht, das mir strikt vorgibt, wie ich Landschaften aufnehme. Dafür habe ich mal das Tor eines Bolzplatzes, mal das eines Fußballfeldes gewählt." Der Blick durch den Sucher der Kamera öffnet den Raum durch das Tor. "Das Konzept bereinigt die Fotografie soweit von meiner persönlichen kulturellen subjektiven Vorgeschichte. Damit war stets wiederholbar ein fester Standpunkt gegeben."

"Dieser hat die Freiheit der Gestaltung für meine Komposition klar begrenzt. Dies zwang mich bei der Aufnahme dazu, dass ich mich früh mit der das Fußballtor umgebenden Landschaft befassen musste, um meine Schlüsse daraus zu ziehen. Tore und Spielfeld verraten einiges über ihren geografischen und sozialen Kontext." Und das ist in der Tat so: Jedes Tor zeugt von einem Zugang zur Welt dahinter.

Uns öffnet sich so eine ganze Welt mit Toren: in den Bergen, im Dschungel, in der Großstadt oder im Dorf, auf dem Land in der Provinz, am Strand, im Stadtraum, in der Steppe, im Sumpf der Mangroven, vor malerischer Kulisse, in der Wüste. Es gibt diverse Arten von Toren. Eine Typologie der Tore hat Rui Camilo da rundum erstellt: Etwa jene aus Basteleien oder Provisorien oder jene extrem planvoll errichteten Spielstätten lokaler Behörden, die beklemmend oft Freiluft-Gehegen ähneln.

Tore aus Bambus oder aus Palmwedel etwa stehen dabei jenen gegenüber, die robust aus Holzpfosten gebaut sind oder für die halbe Ewigkeit unzerstörbar als eiserner Stahlkäfig konstruiert - oder für die ganze gemauert aus Stein. Letztere wirken dann unentrinnbar auf uns. Rui Camilo hat als Ethnologe und Soziologe mit der Kamera überall auf der Welt Tore besucht und studiert. Ein Fan, der still zeigt: Tor, Tor, Tor. Über die Jahrzehnte entstand daraus eine Gattung.

[Auszug aus dem Essay "Tore, Tore, Tore" zur Einleitung in das Buch und Werk Rui Camilo - Common Ground, Portugal 2024.] Der Fotograf ist während der Eröffnung der Premiere in Wiesbaden anwesend und signiert Ihnen seinen Bildband. Rui Camilo - Common Ground, 200 Seiten, 228 Fotos, 58 Euro, Selbstverlag, 1. Auflage 500 Kopien, Lissabon, Portugal 2024.

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